Beispiel einer Mediation zwischen zwei Schulen

Vom Überwinden der Grenzen im Kopf und auf der Straße

So wie es klassische Feindschaften zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich, Katholiken und Protestanten gibt, den Nachbarn rechts und links vom Maschendrahtzaun oder zwischen  Dortmund und Schalke, so gibt es auch die klassische Feindschaft zwischen zwei Schulen.

Schon Erich Kästner beschreibt im „Fliegenden Klassenzimmer“ die ewige Fehde zwischen den Gymnasiasten aus dem Internat und den Realschülern.

Wie kann eine solche Feindschaft entstehen?

Es sind unterschiedliche Schulformen (von denen die Schüler der einen sich besser fühlen, die anderen dementsprechend unterlegen) und sie haben einen irgendwie gearteten Berührungspunkt: die gleiche Nähe zum Bahnhof, zur Bushaltestelle, zum Kiosk.

Dann werden die gleichen Wege zum Austragungsort von kleineren Raufereien, Rempeleien, verbalen Beleidigungen usw. Wenn man nachfragt, warum das so ist,  hört man unisono Verallgemeinerungen: Die sind alle so arrogant! Die sind einfach blöd! Die werden sofort aggressiv! Die provozieren uns!

Begegnen sich die Schüler der verschiedenen Schulformen in einem ganz anderen Umfeld und nicht in der homogenen Gruppe, wie z.B. im Fußballverein, setzen die Streitereien oder Raufereien für eine Weile aus, um am nächsten Tag an einem anderen Ort mit anderen Begleitern unvermindert wieder einzusetzen.

Können derart verhärtete Fronten aufgebrochen werden und wie kann das gehen?

Hier soll berichtet werden über eine Entwicklung zwischen zwei Schulen, die anfangs in das oben beschriebene Schema passten. Dieses Projekt habe ich als Mediatorin begleitet und ich beobachtete eine Entwicklung, die Zeit gebraucht hat, Energie gekostet hat und vor allem letztendlich  erfolgreich war. Eine Geschichte zum Mutmachen, zum Nachmachen, die aber auch beweist, es gibt nicht DIE eine Geheimwaffe, um Aggressionen, Gewaltakte und Streitereien zu beseitigen. Es gibt nur den Weg der kleinen Schritte, die mit Beharrlichkeit gegangen werden müssen.

Hier die Geschichte:

Zwei Schulen, nämlich ein Gymnasium und eine Förderschule, liegen in Greven in derselben Straße. Der benachbarte Busbahnhof wird gemeinsam genutzt und das bedeutet, dass der Schulweg gemeinsam beschritten wird. Die Gymnasiasten gelten bei den Förderschülern als arrogant, überheblich und eingebildet. Die Förderschüler dagegen sind die „Asis“ oder „Bunken“, die sofort zuschlagen.

Übergriffe von beiden Seiten – ob verbaler oder körperlicher Art – auf dem gemeinsamen Schulweg sind an der Tagesordnung. Sie laufen immer nach dem gleichen Schema ab: Schuldige lassen sich nur schwer ausmachen, da jeder den jeweils anderen beschuldigte. Man greift auf die herkömmlichen Klischees zurück: Die haben mich provoziert! Die schlagen ja sofort zu!

Also wird in schlimmen Fällen die Polizei eingeschaltet. Empörte Gymnasiasteneltern bringen gewisse Dinge zur Anzeige, die Polizei kennt ihre „Pappenheimer“, die Vorkommnisse werden mehr oder weniger weit verfolgt, ändern  tut  sich dadurch nicht viel. Verbale Angriffe von Seiten der Gymnasiasten bleiben – so lange die Situation nicht eskaliert – ohne Folgen.

Das alles war „schon immer so“, bis zu dem Zeitpunkt, da Eltern beschließen, dass es so nicht weitergehen kann, dass man das Problem einmal grundsätzlich anders angehen müsste, dem vielfachen Ratschlag  „Das war doch schon immer so, das ändert man sowieso nicht!“ zum Trotz. Es wird ein Arbeitskreis gebildet von Eltern des  Gymnasiums Augustinianum und der Johannesschule, Förderschule mit den Schwerpunkten Lesen und Lernen und mir als Mediatorin.

Sehr hilfreich ist die Mitarbeit einer Mutter, die einen Sohn auf dem Gymnasium hat und den anderen auf der Förderschule. Sie kennt beide Innenverhältnisse und kann so auf beiden Seiten für Verständnis und Unterstützung der elterlichen Bemühungen werben und hat außerdem ein besonderes Interesse, dass die Rempeleien aufhören.

Der AK greift zur nächstliegenden Lösung: Fragen wir die Polizei, was sie zu tun bereit ist und wie sie helfen kann. So werden die Eltern auf der örtlichen Dienststelle vorstellig mit der Vorstellung, dass vielleicht eine Verstärkung von Streifen Abhilfe schaffen könnte.

Sehr schnell wird ihnen jedoch klar gemacht, dass sich das Problem durch vermehrtes Streifefahren nicht lösen lässt, zumal die Polizei sich nicht in der Lage sieht, solche Sondereinsätze personell zu schultern. Allerdings werden sie verwiesen an das sog. Kommissariat Vorbeugung. Dort arbeiten speziell ausgebildete Fachleute, die in Schulen gehen, um mit Schülern zu  sprechen. Dabei geht es darum zu erklären, wann Polizei aktiv wird und wann nicht, welche Probleme auch ohne Polizei geklärt werden können, wie das geschehen kann usw. Man  sieht darin die Möglichkeit, die Schüler zu stärken und so die Streitlust zu dämpfen.

Liegt also hierin die Lösung des Problems?

Leider nicht, denn es gibt personelle Schwierigkeiten, das Kommissariat Vorbeugung ist derzeit nicht besetzt.

Nun gibt es auch von anderer Stelle vielfältige Möglichkeiten, Schülerinnen und Schüler Anti-Gewalt-Trainings zu unterziehen, Theater gegen Mobbing zu engagieren usw.

Alle diese Veranstaltungen kosten allerdings Geld, das Schulen nicht immer haben.

Woran nun aber kein Zweifel mehr besteht und den Eltern klar geworden ist:

Einerseits sind sie auf sich gestellt und können nicht darauf hoffen, dass die Polizei das Problem lösen wird, Übergriffe können nicht durch eine bestimmte Maßnahme von außen abgestellt werden, es reicht nicht aus, dass ein Polizist morgens an der Haltestelle steht und sein Bestes gibt, Streitigkeiten zu verhindern.
Stattdessen müssen die Veränderungen von allen Beteiligten selbst kommen. Das bedeutet, dass  viele kleine Schritte nötig sind, die die Betroffenen selbst tun müssen, um zu einem anderen Miteinander zu finden.

Wie können diese Schritte oder Maßnahmen aussehen?

Ich-Stärkung, starke SV, Klassenrat, Schülerrat, Große helfen Kleinen, Schülerpaten usw. sind Dinge, die ganz allgemein das Verantwortungsgefühl wachrufen und das Selbstbewusstsein des Einzelnen stärken – selbstbewusste Kinder streiten weniger!

Eine weitere Maßnahme sollte in diese Richtung gehen: Die Johannesschule entscheidet sich, ein Streitschlichterprogramm einzuführen.

Ich schlage außerdem vor, dass sich alle am Schulleben Beteiligten (Eltern, Schüler, Lehrer) näher kommen sollten mit der Begründung, dass sich Leute, die sich gut kennen anders begegnen als Leute, von denen man nur ein Klischee im Kopf hat.

Begünstigt wird diese Idee dadurch, dass an der Schulwegsfront aktuell Ruhe herrscht, man sich also in aller Ruhe des Themas annehmen kann.

Die Eltern-Ebene

Als erstes wird ein Mütter-Kaffee-Treff eingerichtet, an dem sich Mütter beider Schultypen treffen können, um sich austauschten und durch ein besseres Kennen lernen die Anonymisierung „die vom Gymnasium“ oder „die von der Johannesschule“ zu entschärfen. Namen und Gesichter treten an diese Stelle.

Den Elterntreff langfristig am Leben zu erhalten erweist sich leider als schwierig, was z.T. mit der Berufstätigkeit zu tun hat, mit fehlenden finanziellen Mitteln, um sich abends in der Kneipe zu treffen o.ä.

Dennoch sind die Gesichter nun bekannt und wenn man sich in der Stadt trifft, werden ein paar Worte gewechselt.

Die Schülerinnen und Schüler

Gleichzeitig entwickeln  Eltern und Lehrer natürlich sehr viele und sehr gute Ideen, wie man die beiden Schülergruppen zusammenbringen könnte. Die Vorschläge reichen von Nachhilfe bis hin zum Tischtenniswettstreit.

Klar ist jedoch, dass es Begegnungen nur abseits des Lernniveaus geben soll. So ist die Idee, dass Gymnasiasten den Johannesschülern Nachhilfe geben, eigentlich ganz schnell wieder vom Tisch. Letztendlich wird mein Vorschlag, keinerlei Vorgaben zu machen und stattdessen die Schüler selbst entscheiden zu lassen angenommen und in die Tat umgesetzt.

Sich besser kennen zu lernen wird den SV-Vertretern beider Schulen vorgeschlagen. Spontan laden die JohannesschülerInnen ihre Nachbarn vom Gymnasium zu einer Schulbesichtigung ein.

Eine Abordnung mit Schülersprecher, SchülerInnen aus unterschiedlichen Stufen und ihrem SV-Lehrer macht daraufhin eine Runde mit den Gastgebern und deren Lehrerin, wobei die Gymnasialschüler staunen über die Größe der Räume, die moderne Ausstattung und last but not least den „coolen“ Schulleiter, der die Gäste willkommen heißt. Im Anschluss gibt es Getränke und Kuchen im  SV Raum und im Gespräch finden die SchülerInnen die eine oder andere Gemeinsamkeit. Das Ganze findet in einer Atmosphäre statt, die etwas von einem vorsichtigen Abtasten hat, im Großen und Ganzen aber als freundlich und respektvoll beschrieben werden kann.

Ein paar Wochen später findet dann der Gegenbesuch statt. Die JohannesschülerInnen staunen nun ihrerseits über die Größe der Schulgebäude, besonders gefällt ihnen der SV Raum mit den alten, aber gemütlichen Sofas und Sesseln. Auch hier gibt es wieder etwas zu Essen und zu Trinken und man unterhält sich über das, was die SV so macht am Gymnasium, wie z.B. ein jährliches Fußballturnier zu veranstalten, was immer sehr aufwändig ist. Fast nebenbei werden die Johannesschüler dazu eingeladen. „Wär doch cool, wenn ihr auch mit einer Mannschaft mitmacht!“

Und das tun sie dann auch. Und damit ist das Eis gebrochen!

Die Schüler haben inzwischen gegenseitige Treffen in ihr jährliches Programm aufgenommen und lassen sich dazu immer etwas Neues einfallen. An die Stelle gegenseitiger Geringschätzung ist so etwas wie Respekt getreten. Es wäre übertrieben, von neuen Freundschaften zu sprechen, allerdings ist die aktuelle Akzeptanz, ein „Sich in Ruhe lassen“ das, was machbar ist und damit sehr zufrieden stellend.

Die Lehrer-Ebene

Auch auf der Lehrerebene nimmt das Vorhaben, sich an einen Tisch zu setzen, langsam Gestalt an. In einem ersten gemeinsamen Gespräch wird vereinbart, dass ein Treffen, wie es die Schüler umgesetzt hatten, eigentlich auch für die Lehrer sinnvoll sein könnte, sprich ein besseres Kennen lernen der Schule, ihrer Angebote usw.
Beim Austausch über schultypische Problematiken entwickelt sich dann die Idee, einige Elternabende zu veranstalten, deren Thematik die Eltern beider Schulformen interessieren könnten.

Auch zum Fortbildungsnachmittag, der jährlich in der Johannesschule stattfindet und zu dem immer Vertreter unterschiedlichster Institutionen der Stadt eingeladen werden, nehmen inzwischen auch GymnasiallehrerInnen teil.

Auch hier hat das Kennen lernen einen anderen Umgang miteinander bewirkt.
Die Lehrer beider Schultypen sprechen nun  über Themen, die abseits liegen von „Ihr Schüler hat einem unserer Schüler das Fahrrad demoliert“
Gemeinsam kann man sich noch vieles mehr vorstellen und will ebenso wie die Schülervertretungen die Kooperation in den jährlichen Stundenplan mit aufnehmen. Also Ende gut  – alles gut?

Eigentlich – ja! Aber wie in einer guten Ehe muss ständig, ja fast täglich daran gearbeitet werden, dass beide Parteien die gegenseitige Wertschätzung beibehalten, aufkeimender Ärger schnell und konstruktiv bearbeitet wird und so ein friedliches Miteinander erhalten bleibt.

Eines zeigt die Geschichte aber auf jeden Fall:

Der vielzitierte und sehr beliebte Satz: „Das war schon immer so, das ändert sich auch nicht!“ stimmt einfach nicht.

Das Ändern ist harte Arbeit, erfordert ein genaues Hingucken und Analysieren der Situation, den Willen oder die Einsicht, die Dinge anders anzugehen, evtl. auch finanzielle Mittel, um erforderliche Kräfte von außen zu engagieren, die helfen,  Änderungen auf den Weg zu bringen. Es braucht den festen Willen, aus dem Gegeneinander –  wenn schon kein Miteinander, dann aber wenigstens einen respektvollen Umgang oder aber auch eine Distanz zu schaffen.

Als besonders hilfreich hat sich die gelenkte Kommunikation erwiesen, sozusagen eine Paradedisziplin der Mediation. Sie schafft es, einen neuen Blick auf alte Gewohnheiten zu werfen und vor allem Vertrauen zu setzen in die Jugendlichen, die sehr wohl anders können als arrogant gucken oder zuschlagen.

Jenseits der Vorstellung von Richtig und Falsch gibt es einen Raum. Dort werde ich dich treffen. – Rumi